LSG Saarland: Tattoo Artist gewinnt in 2. Instanz gegen KSK!

Hier die Entscheidungsgründe des Urteils des Landessozialgerichts des Saarlandes Saarbrücken zum Az. L 1 R 23/19 (Az. Vorinstanz S 9 R 557/16). Das LSG des Saarlandes hat die Künstlersozialkasse (KSK) zur Aufnahme bzw. Nachversicherung des Tattoo Artists verurteilt. Eine Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen.

Zum Zwecke der Anonymisierung & im Sinne der besseren Übersichtlichkeit haben wir auf die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anträge verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung, die von Seiten der Beklagten insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden ist und gegen deren Zulässigkeit im Übrigen keine Bedenken bestehen, ist unbegründet.

Sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis zutreffend hat das SG die durch Bescheid vom 17.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2016 erfolgte Ablehnung der Beklagten aufgehoben und diese dazu verurteilt, festzustellen, dass der Kläger hinsichtlich seiner ausgeübten selbständigen Tätigkeit im Bereich Grafikdesign, Illustration und freie Kunst sowie Tätowieren von eigenen, freien Kunstwerken versicherungspflichtig nach dem KSVG ist. Die dem entgegenstehende Verfügung der Beklagten war nicht rechtmäßig und beschwerte den Kläger folglich in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Gemäß § 1 Nr. 1 KSVG (i.d.F. durch Art. 48 Nr. 1 Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung. – RVOrgG – v. 09.12.2004, BGBI l, S. 3242, mit Wirkung zum 01.01.2005) werden selbstständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall erfüllt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die sowohl zutreffenden als auch umfassenden Ausführungen im angefochtenen Urteil des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Aufgrund der durch Steuerbescheide und aufgrund seiner Einzelaufstellungen nachgewiesenen Einnahmen des Klägers liegt auch keine Versicherungsfreiheit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 KSVG vor. Mangels anderweitiger Beschäftigung oder Tätigkeit entfallen auch die Tatbestände der Versicherungsfreiheit nach den §§ 4 und 5 KSVG.

Lediglich ergänzend und unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie des Inhalts der mündlichen Verhandlung ist seitens des Senats ergänzend wie folgt auszuführen:

Das BSG hat in seinem Urteil vom 28.02.2007 – B 3 KS 2/07 R – klargestellt, dass das normale Tätowieren nicht als neue Form der bildenden Kunst angesehen werden kann (BSG, aaO, RdNr. 14); dem schließt sich der Senat uneingeschränkt an. Denn Tätowieren ist der Sache nach trotz einer – im Einzelfall u.U. gewichtigen – kreativen Komponente eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, da der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten liegt (BSG, aaO., RdNr. 17). Daran ändert auch ein gewisser, der Tätigkeit immanenter, gestalterischer Freiraum nichts, denn dieser ist auch vielen anderen handwerklichen Berufen zu eigen, z.B. bei Steinmetzen, Goldschmieden, anderen Kunsthandwerkern und Fotografen (vgl. BSG, aaO., RdNr. 17). Auch ergibt sich eine Kunsteigenschaft im Rahmen des Tätowierens nicht dadurch, dass im Einzelfall nicht nach vorhandenen Mustern oder Schablonen gearbeitet, sondern das Motiv selbst gestaltet wird, da auch diese Vorgehensweise für das Kunsthandwerk typisch ist (BSG, aaO., RdNr. 19). Denn in diesen Fällen dient der kreative erste Arbeitsschritt nur als Vorarbeit zum handwerklichen zweiten Arbeitsschritt, der auch in solchen Fällen der Schwerpunkt der Tätigkeit bleibt und aus dem der Tätowierer in erster Linie sein Einkommen erzielt; der Kunde zahlt den Werklohn für das fertige Tattoo, nicht aber für dessen Entwurf, mag auch ein nach eigenem Entwurf erstelltes Tattoo bei gleichem Arbeitsaufwand im zweiten Schritt im Einzelfall teurer sein als ein nach vorhandenem Muster oder Schablonen gefertigtes Tattoo (BSG, aaO., RdNr. 19).

Der vorliegende Sachverhalt liegt jedoch anders. Hier begehrt nicht ein grundsätzlich handwerklich tätiger Tätowierer aufgrund seiner besonderen Berufsausübung, etwa wegen des Tätowierens nach lediglich eigenen, kreativ gestalteten Entwürfen, die Anerkennung seiner Arbeit als Kunst im zuvor benannten Sinne; es ist vielmehr genau die entgegen gesetzte Sachlage: Der Kläger selbst ist – und das ist zwischen den Beteiligten im Übrigen, zu Recht, auch völlig unstreitig – Künstler. Anders als ein Tätowierer, der seine Vorlage selbst entwirft und damit seiner grundsätzlich handwerklich geprägten (Erwerbs-)tätigkeit eine gewisse künstlerische Komponente voranstellt, ist der Kläger ein diplomierter und in seinen Kreisen bereits anerkannter Künstler, der lediglich einen Wirkbereich seiner Kunst mittels handwerklicher Tätigkeit auf und in der Haut verewigt. Der Kläger hat gerade kein angestammtes handwerkliches Berufsfeld des Tätowierers „verlassen“ wie es das BSG sogar als Möglichkeit gesehen hat, auch bei Tätowierern ausnahmsweise von einer Künstlereigenschaft im Sinne des KSVG auszugehen (vgl. BSG, aaO., RdNr. 21), sondern er hatte ein solches zu keinem Zeitpunkt begründet Der Kläger ist seit seinem Studium in seinem Gesamtwirken künstlerisch tätig und mit dieser einheitlich zu bewertenden Kunst – lediglich in ihren dargestellten Medien variierend – als Künstler im Sinne der Rechtsprechung anerkannt.

Der Kläger entwickelt und entwirft bildende Kunst, die sich nicht in verschiedene Bereiche einteilen lässt, wie das SG zutreffend herausgestellt hat. Daher kann vorliegend gerade nicht zwischen dem künstlerischen Ansatz des Klägers, der etwa auf Papier, Mauern oder anderen Objekten verwirklicht wird und dem, der letztlich in die Haut eingestochen wird, unterschieden werden. Des Klägers Kunstwerke sind einheitlich und von ein und derselben Stilrichtung geprägt. Für diese Kunst ist er auch in der Fachwelt anerkannt. Kleinere Teile, quasi Ausschnitte, dieser exponierten und anerkannten Kunststücke bringt er auch auf Wunsch auf bzw. in die Haut mittels der handwerklichen Tätigkeit des Tätowierens, ohne sich hierbei von Wünschen oder Anregungen der zu Tätowierenden beeinflussen zu lassen. Er agiert frei und folgt seinem künstlerischen, einheitlichen Wirken. Teilweise, dies hat er dem Senat gegenüber anschaulich erläutert, entwirft er die Kunst auch direkt auf der zu tätowierenden Körperstelle, ohne sie vorher auf Papier vorgearbeitet zu haben. Auch konnte der Kläger zur Überzeugung des Senats gut nachvollziehbar erläutern, welche Schwierigkeiten mit dem Umsetzen eines Bildes auf der menschlichen Haut verbunden sein können und dass dies ein dreidimensionales Umdenken beim Arbeiten und Entwerfen erfordere.

Dies ergibt sich nicht nur aus den überzeugenden Erläuterungen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung, sondern auch nach der Inaugenscheinnahme der vorgelegten Werke des Künstlers sowie unter Berücksichtigung der insoweit fachkundigen Einschätzung des Prof. Dr. …… der die Arbeiten und die Arbeitsweise des Klägers als einheitlich künstlerische bewertet und darauf hinweist, dass das Eintätowieren von Teilen der klägerischen Kunstwerke auch Teil von dessen Diplomarbeit war.

Der Umstand, dass der Kläger seine tätowierten Kunststücke nicht in Galerien ausstellt, sondern lediglich die auf andere – nicht lebendige – Objekte projizierte Kunst, ändert hieran nichts. Insoweit konnte der Kläger für den Senat nachvollziehbar erklären, dass es neben dem Umstand, dass er keine Menschen ausstellen könne, am Interesse der Galeristen fehle, Fotografien seiner gestochenen Kunst auszustellen, da die Galeristen ihren Gewinn aus den verkauften Kunstobjekten gerierten. Da er kein Kunstfotograf sei und es sich bei Fotografien seiner Tätowierungen damit lediglich um Ablichtungen seiner, in dieser fotografischen Form nicht als Kunst zu erwerbenden Objekte handeln würde, sei eine Ausstellung dieser Art seitens der Galeristen nicht nachgefragt. Wenn das Wesen der künstlerischen Arbeit nur in bestimmten Formen ausstellbar und damit der Allgemeinheit und den Kunstkreisen zugänglich zu machen ist, wäre es eine unzulässige Beschneidung der künstlerischen Freiheit, diesen faktisch dazu zu zwingen, fachfremde künstlerische Arbeiten – in diesem Fall Fotografien – zu fertigen und ausstellen zu müssen, um an deren Verbreitungsgrad den künstlerischen Marktwert bzw. das künstlerische Renommee messen zu können. Des Klägers Kunst ist eine einheitliche und für diese Art ist er be- und anerkannt. Dies muss auch für den Bereich der Arbeiten auf und in der Haut, die sowohl in Art und Stil aus der selben „künstlerischen Ader“ fließen, ausreichen.

Dass der Kläger seine Kunst – auch – mittels handwerklicher Tätigkeit im wahrsten Sinne des Wortes „unter die Menschen“ bringt, führt schließlich zu keiner anderen Bewertung. Das Tätowieren ist hier nur Mittel zum Zweck, die Kunst auch auf bzw. in dem Medium Haut zu verwirklichen. Dies geht nun mal – vernünftigerweise – nur mit handwerklichem Geschick und einer Tätowiermaschine. Dies dem Kläger nicht zuzubilligen, hieße, ihn in seinem gesamtkünstlerischen Ansatz zu reglementieren. Dies kann und darf nicht Aufgabe der Künstlersozialversicherung sein; umso mehr, als dass der Begriff der Kunst, wie er auch im Grundgesetz seinen Schutz findet, durchaus offen zu verstehen und zu schützen ist.

Soweit vorliegend entgegnet wird, der Kläger zeichne seine Tätowierungen vor und übertrage diese Zeichnung lediglich auf bzw. in die Haut, so vermag auch dieser Umstand, soweit er nicht bereits durch die Erläuterungen des Klägers zu seiner zwischenzeitlichen Arbeit an der Haut ohne Vorlage, an der Eigenschaft der Kunst im vorliegenden Fall nichts zu ändern. Denn auch anerkannte Künstler haben vor dem Erschaffen ihrer diffizilen Werke ein oder gar mehrere Entwürfe zu Papier gebracht, bevor die Kunst schließlich – ggf. sogar überwiegend handwerklich – umgesetzt und damit allgemein zugänglich gemacht wurde. Der Senat denkt hierbei an das Deckenfresko, des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle; dieses wurde nach mehreren Entwürfen ebenfalls in einem letzten Arbeitsschritt, bei dem zuvor in Wasser eingesumpfte Pigmente auf frischem Kalkputz aufgetragen wurden, auch handwerklich-technisch umgesetzt. Genauso wenig wie seinerzeit der Papst ein Gemälde dieses Ausmaßes ohne vorherigen Entwurf geordert hätte, erscheint es lebensfremd, dass ein körperlich-dauerhafter Eingriff Form eines Tattoos von der Mehrheit der Kunden „aufs grade Wohl hin“ geordert und verwirklicht werden dürfte. Eine Vorarbeit auf Papier zerstört die Anerkennung des Gesamtkunstwerkes durch Fertigstellung auf bzw. in der Haut, so wie im vorliegenden Einzelfall beschrieben, damit nicht.

Infolge dessen war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) sind nicht ersichtlich.

 

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