Sozialgericht Hamburg: Tattoo Artist gewinnt gegen KSK!

Ein Urteil aus Hamburg macht der weiter um die längst fällige Anerkennung als Kunstform ringenden Tattoo-Branche Hoffnung. Heute Mittag entschied das Sozialgericht Hamburg, dass die Künstlersozialkasse (KSK) die Klägerin vollständig und mit allen Umsätzen auch rückwirkend seit Antragstellung aufnehmen und versichern muss. Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juni 2020, Az. S 48 KR 1921/19

Recht

Die Klägerin ist an einer Kunsthochschule ausgebildete Illustratorin und tätowiert seit rund zehn Jahren auch ihre Werke. Dabei fertigte sie stets Einzelstücke an und sticht diese Vorlagen auch nur ein einziges Mal. Daneben arbeitet sie weiterhin als Illustratorin für internationale Nachrichtenmagazine, Unternehmen, Bands etc.

Sie hatte beantragt, als Künstlerin mit sämtlichen Umsätzen, also sowohl als Illustratorin als auch als Tattoo Artist in die KSK aufgenommen zu werden. Alle ihre Werke, als Illustratorin und als Tattoo Artist, seien von ihrer individuellen Bildsprache und ihrem persönlichen Schöpfungsprozess geprägt. Auch bei Tätowierungen erhalte sie allenfalls einzelne Stichworte und entwickele ansonsten Vorlage und Tätowierung ausschließlich selbst. Dies sei ebenso als schöpferische und künstlerische Tätigkeit anzuerkennen, wie die Illustration.

Die Rechtsansicht der KSK

Die KSK erkannte jedoch nur die Umsätze als Illustratorin an. Die Umsätze der Klägerin als Tattoo Artist habe sie nicht mit künstlerischer, sondern mit handwerklicher Tätigkeit erworben. Selbst beim Stechen selbst entworfener Vorlagen sei das Stechen als handwerkliche Tätigkeit vorrangig. Sämtliche Umsätze aus dem Bereich Tattoo seien deshalb aus handwerklicher Tätigkeit & damit nicht in der KSK versicherbar. Die KSK beruft sich nach wie vor auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahre 2007. Dieses mittlerweile 13 Jahre alte Urteil stellte damals fest, dass ein Tattoo Artist, der Tattoo-Vorlagen selbst anfertige und dann steche, nicht als Künstler anzusehen sei. Das Stechen & damit eine handwerkliche Tätigkeit stelle den Hauptteil der Leistung dar. Anderes könne allenfalls dann gelten, wenn der Tattoo Artist von anderen, als Künstler bereits anerkannten Künstlern, als Künstler anerkannt werde.

Allerdings hatte die Klägerin tatsächlich vortragen können, in diversen Ausstellungen im Innen- und Ausland präsent gewesen zu sein.

Die Verhandlung

Dies & die Präsentation der Werke der Klägerin überzeugten offenbar das Sozialgericht Hamburg. In einer bunten und ca. eine dreiviertel Stunde dauernden Verhandlung beantwortete die Klägerin zunächst Fragen des Gerichts zu ihrem kreativen Schaffensprozess. Danach erläuterte sie anhand einer Präsentation diverser Werke aus Illustration und Tattoo bzw. zu Tattoos gewordenen Illustrationen ihre tägliche Arbeit als Illustratorin und als Tattoo Artist.

Kurzer Prozess

Das Gericht zeigte sich offensichtlich beeindruckt. Nach kaum 5 Minuten Beratung teilte das Gericht seine vorläufige Einschätzung mit, dass es sich bei sämtlichem Schaffen der Klägerin um künstlerische Tätigkeit handele, also alles in der KSK zu versichern sei.

KSK bleibt hart

Der Sitzungsvertreter der KSK ließ sich jedoch nicht erweichen. Weder ein Anerkenntnis der Klage noch ein von Klägerinnenvertreter Rechtsanwalt Jens O. Brelle vorgeschlagener Vergleich kamen für die KSK infrage. Das in diesem Fall aus einer Berufsrichterin und zwei Laien-Beisitzern bestehende Sozialgericht Hamburg musste also ein streitiges Urteil fällen.

Es gibt bei der KSK offenbar eine strikte Anordnung, alle Anträge von Tattoo Artist abzulehnen & alle Rechtstreitigkeiten mit Tattoo Artist mindestens bis in die 2. Instanz durchzufechten. In der Vergangenheit waren zwar auch Vergleichsschlüsse der KSK mit Tattoo Artists festzustellen. Dies geschah allerdings meist erst in 2. Instanz, beim zuständigen Landessozialgericht.

Offenbar versucht die KSK, die (Kosten-)Risikobereitschaft der Tattoo Artist so weit wie möglich herauszufordern. Darüber hinaus dürfte auch die Dauer der sozialgerichtlichen Verfahren eine gewichtige Rolle spielen, können solche Verfahren noch viele Jahre dauern. Auch eine rechtskräftige Verurteilung versucht die KSK aber offenbar zu vermeiden. Dafür sprechen die Vergleichsschlüsse in zweiter Instanz.

Unsere Einschätzung

Das Urteil ist ein großer Erfolg der Tattoo-Branche gegen die KSK. Diese betrachtet das o. g. Urteil des BSG von vor 13 Jahren offenbar als in Stein gemeißelt. Erfreulicherweise kann sich Rechtsprechung aber jederzeit ändern. Die vor 13 Jahren in den Köpfen der erkennenden Richterinnen und Richter beim BSG offenbar noch vorherrschende Vorstellung der Tattoo-Branche, die 10mal am Tag das gleiche, vom Flash-Sheet an der Wand ausgesuchte Tattoo eines Delphin bzw. einer Rose sticht, dürfte auch langsam in der Justiz aussterben. Darüber hinaus liegt aber auch ein „guter“ Fall vor, da die Klägerin nachweislich in künstlerischen Kreisen Anerkennung findet, was die Einladung zu diversen Ausstellungen etc. beweist.

Tattoo Artist, die ebenfalls die Anerkennung als Künstler durch die Aufnahme in die KSK planen, sollte das Verfahren eine Lehre sein:

  • Tummelt euch in künstlerischen Kreisen über die Tattoo-Branche hinweg!
  • Sammelt Testimonials branchenfremder Künstler*innen!
  • Nehmt auch an branchenfremden Ausstellungen und Wettbewerben teil, organisiert selbst welche!
  • Dokumentiert euren Schaffensprozess!
  • Eine künstlerische Ausbildung und/oder Neben-/Haupttätigkeit kann auch nicht schaden!

Fazit & Ausblick

Es bleibt zu hoffen, dass dieser frische Wind vom Sozialgericht Hamburg die sozialgerichtliche Rechtsprechung & auch die Einschätzung der KSK ändert. Für die Tattoo-Branche wäre fast zu wünschen, dass der Fall zum BSG geht, um die alte Rechtsprechung aus 2007 endgültig abzuräumen. Für die Klägerin hoffen wir natürlich, dass dies nicht erforderlich wird, sagen ihr aber jetzt schon unsere Unterstützung für den Fall zu.

Zugegeben, nicht jeder Tattoo Artist übt (stets) eine künstlerische Tätigkeit aus. Aber immer mehr individuell arbeitende Tattoo Artists gehören als Künstler*in in die KSK! Ohnehin ist es nicht nachvollziehbar, warum die KSK auf diese häufig dauerhaft zahlungskräftige Klientel der Tattoo Artists freiwillig verzichtet, gleichzeitig aber allenfalls saisonbedingt (oder im Moment pandemiebedingt überhaupt nicht) verdienende Kräfte wie z. B. Opernsänger*innen, Konzertmusiker*innen oder dann ebenfalls handwerklich tätige Künstler*innen wie Bildhauer*innen ohne weiteres versichert (ohne diesen Gruppen ihre künstlerische Tätigkeit absprechen zu wollen).

Sobald die schriftliche Begründung des Urteils vorliegt, werden wir uns bemühen, euch den Volltext anonymisiert zugänglich zu machen.

Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juni 2020, Az. S 48 KR 1921/19

Mal was ganz Anderes:

Wer hat eigentlich welche Rechte an einem Tattoo?

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